Erfolgte und erforderliche Maßnahmen der Europäischen Blindenunion (EBU) und ihrer Mitglieder für volle Barrierefreiheit von Liften
Der Einbau von Liften ist als eine der wesentlichen Maßnahmen bekannt, um Gebäude für alle, unabhängig von individuellen Fähigkeiten und Vorlieben, zugänglich zu machen. Es ist für die meisten Menschen offensichtlich und daher auch allgemein anerkannt, dass z.B. eine Mindesttürbreite und genug Platz in der Liftkabine ausschlaggebend sind, um Personen im Rollstuhl, mit Gehhilfen, mit Kinderwagen, die schwere Lasten tragen etc. das Betreten und das selbständige Nutzen eines Liftes zu ermöglichen. Wenn es allerdings darum geht, wie wichtig die Nutzbarkeit von Bedienelementen genauso wie Beschriftung und Orientierungsmöglichkeiten bei Liften ist und welchen Einfluss sie auf die Nutzbarkeit des gesamten Lifts hat, fehlt hingegen das Bewusstsein.
Eigenschaften wie visuelle und taktile Wahrnehmbarkeit von Tasten und Angabe ihrer Funktion, gute Sichtbarkeit und akustische Ansage von Geschoßen und anderen wichtigen Informationen sowie eine Gestaltung und Positionierung, die das Auffinden des Lifts so einfach wie möglich machen, bestimmen seine Zugänglichkeit genauso maßgeblich wie die oben genannten allgemein bekannten Eigenschaften. Wenn z.B. blinde oder sehbehinderte Personen einen Lift nicht auffinden und/oder bedienen können, können sie ihn nicht nutzen und damit ist er für sie praktisch nicht vorhanden. Das betrifft einen sehr großen Personenkreis, wenn diese Art von Anforderungen nicht ernsthaft berücksichtigt und umgesetzt werden.
Die EBU beschäftigt sich mit dieser Problemstellung derzeit im Zusammenhang mit Normung einerseits und Gesetzgebung/Umsetzung andererseits.
Welche Themen sind in letzter Zeit in der Normung aufgekommen?
Der Titel der europäischen Norm, in der Anforderungen für die Barrierefreiheit von Liften definiert sind, lautet EN 81-70 „Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen — Besondere Anwendungen für Personen- und Lastenaufzüge — Teil 70: Zugänglichkeit von Aufzügen für Personen, einschließlich Personen mit Behinderungen“. Diese Norm wird derzeit von einer Arbeitsgruppe des CEN (Europäisches Komitee für Normung) namens CEN/TC 10/WG 7 überarbeitet.
In dieser Arbeitsgruppe stand zur Diskussion, Touch Screen Elemente als barrierefreie Ausführungsoption für Bedienelemente in Liften in die Norm aufzunehmen. Die Position der EBU dazu ist ganz eindeutig: Solange von den Herstellern für berührungssensible oder Touch-Screen Bedienelemente keine technische Lösung zur Verfügung gestellt wird, die nachweislich und verlässlich in ihrer Bedienbarkeit keine Verschlechterung gegenüber herkömmlichen Bedienelementen mit Drucktasten mit sich bringt, und damit Barrierefreiheit für alle gewährleistet, kann die EBU deren Aufnahme in eine Norm für Barrierefreiheit nicht zustimmen.
Daher hat die EBU auf Initiative des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Österreich (BSVÖ), der in dieser Angelegenheit die Leitungsfunktion für die EBU übernommen hat, bereits in der Entwurfsphase der Norm sofort interveniert, indem zwei schriftliche Stellungnahmen abgegeben wurden, die beide auch vom European Disability Forum (EDF) unterstützt wurden. In diesen Stellungnahmen, an deren Formulierung auf österreichischer Seite alle im KMS (Komitee für Mobilität sehbeeinträchtigter Menschen Österreichs – zusammenarbeitenden Organisationen (Verein Blickkontakt, BSVÖ, Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs, Österreichische Blindenwohlfahrt) beteiligt waren und an deren Formulierung sich alle EBU Mitglieder beteiligen konnten, werden die Mindestanforderungen für Barrierefreiheit von Bedienelementen im Sinne von blinden und sehbehinderten Menschen detailliert erklärt. Es wird klar gesagt, dass die derzeit verfügbaren Touch Screen Lösungen diese Anforderungen nicht erfüllen und daher nicht als Lösung anerkannt werden kann, die die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von Liften gewährleistet. Es wird auch betont, dass Tests mit Personen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Vorlieben gemacht werden müssen, bevor erneut an die Aufnahme einer potentiellen Lösung in die Norm gedacht werden kann.
Was hat die Intervention der EBU ergeben und welche sind die nächsten Schritte?
Letztendlich scheinen die Argumente und Forderungen aus den Stellungnahmen von der Arbeitsgruppe weitgehend akzeptiert worden zu sein und dürften im weiteren Entwurfsprozess ernsthaft berücksichtigt werden. Jetzt ist es wichtig, den Entwurf weiter im Auge zu behalten und sollten sie weitere Unstimmigkeiten enthalten mit einer weiteren Stellungnahme einzugreifen – wenn nötig noch vor der Finalisierung des Entwurfs oder andernfalls während der öffentlichen Möglichkeit einer Stellungnahme, in der der Entwurf von jedem online eingesehen werden kann. Doris Ossberger wird sich für die EBU darum kümmern und mehr Informationen liefern, wenn Maßnahmen erforderlich sind.
Womit muss man sich im Zusammenhang mit Umsetzung und Gesetzgebung auseinandersetzen?
Die EN 81-70 ist eine sogenannte harmonisierte EN Norm für die “Zugänglichkeit von Aufzügen für Personen, einschließlich Personen mit Behinderungen“. Das bedeutet, dass sie in allen EU Mitgliedsstaaten in allen öffentlich zugänglichen Gebäuden angewendet werden muss – andernfalls verursacht man ein Handelshemmnis.
Obwohl die aktuelle Ausgabe der EN 81-70 sehr genaue Anforderungen für Bedienelemente enthält, die die Nutzbarkeit für blinde und sehbehinderte Menschen gewährleisten und alle Arten von Touch Screens oder Sensortasten ausschließen, bieten immer mehr Firmen Bedienelemente an, die diese Anforderungen nicht erfüllen, und verkaufen diese auch erfolgreich. Der wesentliche Grund dafür, dass sie produziert und verkauft werden, ist wahrscheinlich das ansprechend Aussehen, aber ihr Einbau verursacht erhebliche Barrieren für einen großen Personenkreis. In vielen Ländern werden berührungssensible Bedienelemente beispielsweise in Wohnhausanlagen oder Krankenhäusern eingebaut. Viele Menschen, darunter blinde und sehbehinderte Menschen, aber auch z.B. ältere Menschen, die mit der Technologie nicht vertraut sind, können diese Lifte schlichtweg nicht nutzen, da sie sie nicht bedienen können. In vielen Fällen gibt es kaum Möglichkeiten, rechtlich dagegen vorzugehen.
Was können die EBU und ihre Mitglieder beitragen, um die Situation zu verbessern – welche Maßnahmen müssen gesetzt werden?
Da die EN 81-79 eine harmonisierte EN Norm ist, die in allen EU Mitgliedsstaaten angewendet werden muss, müssen nationale Baubehörden jene Gebäudetypen festlegen, wo ein barrierefreier Lift gemäß EN 81-70 installiert werden muss. Jedes Land kann auch aus einer Auswahl von in der EN 81-70 beschriebenen Liftkabinen unterschiedlicher Größe eine auswählen, die die Mindestanforderung darstellt. In vielen EU Mitgliedsstaaten ist das bis jetzt noch nicht umgesetzt worden. Daher gibt es dort keine gesetzlichen Vorgaben, die gegen den Einbau von Liften sprechen würden, die nicht den Anforderungen der Norm entsprechen (z.B. bezüglich Bedienelementen).
Außerdem wurde in vielen Ländern die UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in nationalen Baugesetzen hinsichtlich der Anforderung, dass alle öffentlich genutzten Gebäude barrierefrei sein müssen, um Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu vermeiden, nicht (zur Gänze) umgesetzt.
Daher empfiehlt die EBU ihren Mitgliedern dringend, ihre nationalen Bauvorschriften zu sichten und zu überprüfen, ob die Definition der Gebäude, die barrierefrei sein müssen, der Anforderung der UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen entspricht und ob die verpflichtende Anwendung der EN 81-70 klar festgelegt ist. Wenn etwas davon nicht zufriedenstellend abgedeckt ist oder fehlt, sollte Kontakt mit der nationalen Baubehörde aufgenommen werden und die Aufnahme entsprechender Vorschriften muss eingefordert werden.
Die EBU hat im Zusammenhang damit, Verschlechterungen in der neuen Ausgabe der EN 81-70, die im Raum gestanden waren, abzuwenden bereits einiges erreicht. Für den Fall, dass weitere Maßnahmen erforderlich werden sollten, ist die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen – vor allem von blinden und sehbehinderten Menschen – in ganz Europa nun aufmerksam und bereit die nötige Initiative umgehend zu ergreifen.
Nach diesem wichtigen Prozess der Intervention ist zu erwarten, dass die EN 81-70 eine Norm ist, die es wert ist umgesetzt und von der EBU unterstützt zu werden, um volle Nutzbarkeit und Zugänglichkeit von Liften zu erreichen. Daher müssen weitere Maßnahmen gesetzt werden, um zu gewährleisten, dass die Norm verlässlich umgesetzt wird. Die Mitgliedsorganisationen der EBU sind aufgerufen, diese Maßnahmen jeweils in ihrem Land zu setzen, indem sie die Bauvorschriften überprüfen und Politiker und Behörden mit der Forderung nach einer entsprechenden Überarbeitung der Vorschriften kontaktieren.
Autorin: DI Doris Ossberger (BSVÖ)